Arbeitszeit: Von mehr Flexibilität profitieren alle

Der Fachkräftemangel bedroht die Existenz vieler Handwerksbetriebe. Gleichzeitig wollen immer weniger Menschen im Handwerk arbeiten. Grund hierfür: die Bezahlung und die Arbeitszeiten. Können neue Arbeitszeitmodelle eine Lösung sein?

Jacqueliné Fegers

"Wir haben uns überlegt, die Vier-Tage-Woche einzuführen. Was haltet ihr davon?", so habe er seine Mitarbeitenden bei der alljährlichen Personalversammlung gefragt, erzählt Jörg Schmitz. Der Maler- und Lackierermeister aus Düsseldorf möchte dem Abwandern seines Personals in andere Betriebe vorbeugen, indem er Anreize schafft.

Vor und Nachteile abwägen

In einem ersten Schritt erhöhte Schmitz die Gehälter. Als weitere Änderung plante der Chef, mitarbeiterfreundlichere Arbeitszeiten einzuführen. Zum Zeitpunkt der Versammlung im Jahr 2022 wurde in seinem Betrieb an fünf Tagen pro Woche insgesamt 40 Stunden gearbeitet. Schmitz erläuterte seinen Mitarbeitenden verschiedene Modelle sowie ihre Vor- und Nachteile. "Wer mag, darf auf vier Tage mit 36 Stunden pro Woche reduzieren, allerdings muss das Gehalt und auch der Urlaub an die neue Stundenzahl angepasst werden", erklärte Schmitz. Diesen Vorschlag lehnen die Mitarbeitenden ab: Die Gehaltseinbußen seien nicht tragbar, alles würde teurer, man brauche das Geld. Sein Alternativvorschlag sah vor, bei 40 Stunden zu bleiben und diese auf vier Tage zu verteilen. Das Einkommen sollte gleichbleiben und die Mitarbeitenden einen weiteren freien Tag bekommen. Der Wermutstropfen: Wer zehn Stunden pro Tag arbeitet, muss eine Stunde Pause machen. So will es das Gesetz. Hinzu kommt die Zeit für An- und Abreise, sodass die Mitarbeitenden insgesamt 12 Stunden unterwegs sind – Überstunden gibt es dann nur noch in Ausnahmefällen. Außerdem sind zwei Stunden länger auf dem Gerüst auch körperlich nicht ohne.

“Wenn Mitarbeitende sich nach einem Job in einem anderen Betrieb umschauen, dann sind sie schwer zu halten. Denn bei dem Fachkräftemangel werden teils hohe Gehälter angeboten. Deshalb ist es als Chef immer gut, einen Schritt nach vorn zu machen.”

Jörg Schmitz, Maler- und Lackierermeister aus Düsseldorf

Hobby, Freunde und Familie sind wichtig

Die Mitarbeiter*innen entschieden sich gegen das Konzept. Hobbys, Freunde und Familie haben einen hohen Stellenwert. Auch der frühe Feierabend ist ihnen wichtig, und an den Arbeitszeiten lässt sich nichts rütteln: Bei den Privatkunden kann meist erst ab acht Uhr mit der Arbeit begonnen werden. Manch einem sind auch die Überstunden sehr wichtig: "Ich habe einen Mitarbeiter, der sammelt immer ein halbes Jahr und geht dann für mehrere Wochen in Urlaub. Wenn wir das früh genug wissen, planen wir das mit ein", meint Schmitz. Er ist überall da flexibel, wo es möglich ist. Aktuell beschäftigt er 22 Angestellte im Alter zwischen 23 und 58 Jahren. Trotz der Mitarbeiterentscheidung gegen die Vier-Tage-Woche zieht Schmitz ein positives Fazit: "Es ist gut, dass wir darüber gesprochen haben, das nimmt den Druck für beide Seiten raus. Die Mitarbeitenden haben die positiven und negativen Seiten gegeneinander abgewogen. Sie sind nun glücklich mit ihrer Entscheidung, und ich weiß, dass sie sich wohlfühlen. So bleibt mir mein geschätztes Team erhalten."

Personalmangel und Nachwuchsprobleme kennt er übrigens nicht: Im Augenblick beschäftigt er sieben Auszubildende. Sein Betrieb kooperiert seit zehn Jahren mit verschiedenen  weiterführenden Schulen. An Berufsbildungstagen schnuppern die Schüler*innen erste Malerluft und gestalten unter fachkundiger Anleitung die Wände ihrer Klassenzimmer. Viele finden danach den Weg in einen handwerklichen Ausbildungsbetrieb.

Besonders die junge Generation möchte eine Vier-Tage-Woche

Aktuelle Studie der Stiftung für Zukunftsfragen: Repräsentativ befragt wurden über 2.000 Bundesbürger ab 18 Jahren. Dass sie eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich für eine gute Idee halten, sagen von je 100 Befragten:

  • Gesamtbevölkerung: 63
  • unter 35 Jahren: 76
  • 35-54 Jahre: 70
  • über 55 Jahre: 47

Zur Studie der Stiftung für Zukunftsfragen

Arbeit attraktiver machen

Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, soll die Arbeit attraktiver werden. Die FDP fordert in ihrem Vorschlag zur Wirtschaftswende eine steuerliche Begünstigung von Überstunden. Die Union will dagegen Überstunden von der Steuer befreien. Steffen Kampeter, Chef des Arbeitgeberverbandes, fordert "mehr Bock auf Arbeit und Innovationen" statt Reduzierung der Arbeitszeit. Anstelle einer generellen Vier-Tage-Woche fordert er Änderungen am aktuellen Arbeitszeitrecht. Dieses würde den betrieblichen und individuellen Wünschen nach größtmöglicher Flexibilität nicht mehr gerecht. An Produktivitätsgewinne durch Vier-Tage-Wochen glaubt er hingegen nicht.

Die Gewerkschaften verfolgen einen anderen Ansatz: Kürzlich hat die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) anhand zahlreicher Streiks diverse Arbeitszeitverkürzungen für ihre Mitarbeiten-den durchgesetzt, und auch die IG-Metall fordert die Vier-Tage-Woche. Das Konzept soll jüngere Bewerber*innen ansprechen und den Fachkräftemangel eindämmen. IG-Metall Vorsitzender Jörg Hoffmann rechnet damit, dass mit der Vier-Tage-Woche das Arbeitsvolumen insgesamt gesteigert werde. Das gelte vor allem auch auf Baustellen, bei Schichtarbeit und in der Stahlindustrie. Auch der Präsident der Düsseldorfer Handwerkskammer Andreas Ehlert macht den Unternehmen Mut: "Unternehmer und Arbeitnehmer sollen das Für und Wider einer Vier-Tage-Woche selbst aushandeln, sofern Arbeits- und Tarifrecht nicht dagegenstehen. Das Handwerk ist an sich gut in der Lage, flexible Arbeitszeitmodelle anzubieten. Die angespannte Arbeitskräftesituation im Handwerk einerseits und der Vorzug der kleinen, flexiblen Betriebsorganisation im Handwerk auf der anderen Seite, der im Ringen um die besten jungen Köpfe hier einmal gegenüber den schwerfälligeren Großbranchen ausgespielt werden kann, sprechen dafür, ein solches Modell auszuprobieren."

Das Alter macht den Unterschied

Arbeitnehmer*innen unter 35 Jahren, so zeigt eine Studie der Stiftung für Zukunftsfragen, legen sehr viel Wert auf die Balance zwischen Beruf und Privatleben. Ihre Bestätigung und Erfüllung finden junge Menschen auch außerhalb des beruflichen Lebens.

Sie sehen digitale Arbeitsmittel als Bestandteil des Alltags, die ihnen zeitlich und räumlich flexibles Arbeiten ermöglichen. Der Fachkräftemangel bringt sie zudem in eine günstige Position, um Forderungen zu stellen. Darum plädieren laut Studie drei von vier unter 35-Jährigen für eine Arbeitszeitverkürzung.

Ganz anders bei den älteren Beschäftigten: Bei den über 55-Jährigen stimmt nicht einmal die Hälfte für eine Arbeitszeitverkürzung. Sie haben sich über Jahre an das Konzept der Fünf-Tage-Woche gewöhnt. Berufliche und familiäre Verpflichtungen sind in das traditionelle Arbeitszeitmodell eingebettet. Außerdem befürchten sie, dass das Arbeitspensum in der kürzeren Zeit nicht zu schaffen sei. Sie sorgen sich vor allem um den Verlust der Wirtschaftlichkeit und damit um den eigenen Wohlstand.

Dachdeckermeister mit Mut zu Neuem

Tim Evertz ist Dachdeckermeister aus Kempen. Sein Betrieb spürt den Fachkräftemangel. Um jungen Menschen das Handwerk näherzubringen, hat er Kontakt zu Schulen im Umkreis aufgenommen. Leider ohne Erfolg. Aktuell beschäftigt er zehn Mitarbeitende, könnte aber nach eigener Aussage auf Dauer noch vier bis fünf weitere Fachkräfte gebrauchen. "Die Zeiten haben sich geändert. Man muss einfach ein paar Sachen ausprobieren, ob es klappt oder nicht – man kann ja immer wieder zurück", sagt Evertz. Darum führte er vor knapp zwei Jahren ein paar Veränderungen ein: übertarifliche Bezahlung und ein kostenloser Getränkevorrat, aus dem sich die Mitarbeitenden für den Arbeitstag eindecken dürfen. Testweise führt er die Vier-Tage- Woche ein. Gleichzeitig erhöhte sich die Wochenarbeitszeit von etwa 39 Stunden (aufs Jahr gerechnet inklusive Gut- und Schlechtwetterperioden) auf 40 Wochenstunden. Die dadurch entstandene Zusatzstunde wird jede Woche als Überstunde angerechnet. Dadurch sammeln die Angestellten viele Überstunden, die flexibel abgebaut werden können. Montags bis donnerstags wird zehn Stunden gearbeitet, bei gleichbleibendem Gehalt, jedoch mit geringen Anpassungen bei den Urlaubstagen. Dafür sind die Freitage frei. Das System funktioniert. "Nach drei Monaten Testphase wollte keiner mehr in die Fünf-Tage-Woche zurückwechseln", berichtet der Dachdeckermeister.

Auch wirtschaftlich scheint sich der Wechsel für Evertz auszuzahlen. Die Laune und somit auch die Motivation der Mitarbeitenden habe sich verbessert, Beanstandungen auf den Baustellen konnten verringert werden und es gäbe viel weniger Krankmeldungen. Es habe das Team mehr zusammengeschweißt, und einige Kollegen hätten gemeinsame Hobbys aufgenommen Einen größeren Zulauf von Bewerbern könne er aber insgesamt nicht verzeichnen.

Die langen Arbeitstage auf der Baustelle scheinen die Produktivität zu steigern. Das liegt vor allem an der Umverteilung der Stunden. Die An- und Abreise zur Baustelle dauert im Schnitt ein bis zwei Stunden. An Zehnstundentagen bleiben die Mitarbeiter im Vergleich viel länger – nämlich volle acht Stunden – auf der Baustelle. "Freitags passierte auf den Baustellen sowieso meist nur noch wenig wegen des frühen Feierabends. Das hat sich kaum gelohnt", so Evertz. Außerdem werde im Betrieb sehr auf den Arbeitsschutz geachtet: "Es ist mir wichtig, dass meine Leute ausreichend Pausen machen, genug essen und trinken", meint Evertz. 

Zwei Modelle machen den Unterschied

Im Unternehmen La Linea Franca GmbH, einem Autowerkstattbetrieb mit mehreren Niederlassungen, gibt es gleich zwei Arbeitszeitmodelle, zwischen denen die circa 50 Werkstattmitarbeitenden wählen können. Eine Vier-Tage-Woche mit 33 Stunden und Gehalts- sowie Urlaubsanpassung oder aber die ursprüngliche Fünf-Tage-Woche mit 40 Stunden und rund 21 Prozent mehr Gehalt. Die meisten Mitarbeitenden haben sich für mehr Gehalt entschieden. Lediglich zehn Prozent haben sich für die Vier-Tage-Woche entschieden. "Wir haben viele junge Familienväter, die gerne auf das höhere Gehalt umgestiegen sind", erklärt Achim Rheindorf, After Sales Leiter.

Grund für die Umstellung auf zwei parallellaufende Arbeitszeitmodelle war der Fachkräftemangel. Seit das Unternehmen mit den beiden Modellen wirbt, konnte nach eigener Aussage der Mangel an Mechatronikern offenbar fast ausgeglichen werden. Fünf weitere Mechatroniker fehlten allerdings noch im Team. Bei der Produktivität und auch den Krankheitstagen sei keine Veränderung sichtbar. Aber die Wahlmöglichkeit komme bei den Mitarbeitern gut an, berichtet Rheindorf.

Fazit

Diese Beispiele zeigen: Auf Flexibilität kommt es an. Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden sind je nach Alter und Lebensumstand ganz unterschiedlich. Es geht darum, Arbeitszeitmodelle zu nutzen, die eine Brücke zwischen der Betriebswirtschaftlichkeit und den Bedürfnissen der Mitarbeitenden schlagen. So können Unternehmen für Bewerber*innen und Mitarbeitende attraktiv bleiben, denn der Stellenwert von Arbeit hat sich in der modernen Gesellschaft verändert.

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